Das Zeitalter der Nervosität: Deutschland zwischen Bismarck und Hitler

Das Zeitalter der Nervosität: Deutschland zwischen Bismarck und Hitler

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2 Gedanken zu „Das Zeitalter der Nervosität: Deutschland zwischen Bismarck und Hitler

  1. 3 von 3 Kunden fanden die folgende Rezension hilfreich

    Von der Nervosität zur Kultur der Moderne und Weltpolitik, 4. Juli 2002

    Von Cicely (Dresden) – Alle meine Rezensionen ansehen

    Rezension bezieht sich auf: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler (Taschenbuch)

    Das Buch behandelt eine historische Gegebenheit, die unserer heutige Erfahrung unbekannt und vielleicht auch schwer begreiflich ist: den Zusammenhang zwischen einer Erkrankung der Psyche und des Nervensystems und einem Kulturzustand bzw. dem Lebensgefühl einer Epoche. Der Autor stellt diese Verbindung zwischen der Nervosität (Neurasthenie) und der Kultur des Deutschen Kaiserreiches her. Ihre Wurzeln hatte die Nervosität als Volkskrankheit in der Industrialisierung und dem enormen schnellen sozialen, kulturellen und technischen Wandel in den Jahren nach 1871. Die Nervosität stellte eine Anpassungserscheinung an diese schwierigen Zeiten dar und unter ihrem Etikett versammelten sich die verschiedensten Symptome. Der Autor rekonstruiert dies anhand von Patientenakten aus den damaligen Kur-; Bad- und Heilanstalten und deren Inhalt ist aus heutiger Sicht ebenso absurd wie einfach nur komisch ist.Bei den Auswirkungen der Nervosität auf die Kultur und die Politik im Kaiserreich wird vom Autor keine direkte Kausalität unterstellt. Dennoch ergibt sich ein plausibler Zusammenhang, wie sich in einer aufgeregten Zeit, die kühles Überlegen und Abwarten als Schwäche auslegen und damit auch verhindern konnte, die Ereignisse von der Marokkokrise bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges entwickelt haben.Letztlich gelingt dem Autor die Epoche zu verstehen, welche unter der Moderne, d. h. unter der Auflösung von vielem bisher Bekanntem und Vertrautem und der Neuschaffung vieler Dinge, die wir heute als alltäglich ansehen litt und diese daraus resultierende existentielle Verunsicherung zu bekämpfen und überwinden versuchte.Insofern ist für alle Interessierte das Buch von höchstem Lesegenuß.

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  2. 7 von 8 Kunden fanden die folgende Rezension hilfreich

    Allzu reizend, 6. März 2000

    Von Ein Kunde

    Rezension bezieht sich auf: Das Zeitalter der Nervosität: Deutschland zwischen Bismarck und Hitler (Gebundene Ausgabe)

    Ausgehend von einem durch Unsicherheit, Angst und Schwäche geprägten Befinden der deutschen Gesellschaft zur wilhelminischen Zeit untersucht Joachim Radkau die Gründe für die sogenannte Neurasthenie und wie es dazu kam, dass sich diese Nervenschwäche epidemieartig über alle Klasschranken hinweg ausbreiten konnte. Die Frage, wann die Leute es mit den Nerven bekamen’ kann Radkau sehr präzise beantworten: Im Jahr 1880 erschien das Buch “Neurasthenia” des New Yorker Nervenarztes George M. Beard. Dieses Buch wirkte in Deutschland wie die Entfesselung eines allzu lang tabuisierten Diskurses. Und zwar eines Diskurses im eigentlichen Sinne Foucaults, wie der Autor betont, denn es kam dabei zu “einer sich durch kommunikative Wechselwirkungen entwickelnden Herausbildung neuer Sichtweisen und Erfahrungsmuster, die sich nicht auf bestimmte historische Subjekte und ihre Herrschaftsinteressen zurückführen läßt.” Radkau weist darauf hin, dass das allgemeine Reden über die Nervenschwäche “nicht die beklemmende Grundstimmung der Foucaultschen Diskurse” besaß und “weder stigmatisierend noch ausgrenzend” wirkte, sondern vielmehr “an die Unsicherheit der Grenze zwischen ‚krank’ und ‚gesund'” erinnerte. Doch zurück zu Beard, der in seinem wirkungsträchtigen Buch die These entwickelte, Neurasthenie sei eine Massenerscheinung infolge der Moderne und der Preis für den technisch ökonomischen Wandel. Diese von Radkau abkürzend als “Modern Times-Theorie” bezeichnete Theorie, die kurz gesagt darauf basiert, dass vor allem die Beschleunigung durch die technischen Innovationen der Industrialisierung beim Individuum eine Flucht in die Nervosität bewirkten, entkräftet Radkau glaubwürdig, indem er äußerst belegreich beweist, dass die damalige Nervosität durch die Wahrnehmung der Diskrepanzen zwischen den neuen Leitbildern und den eigenen Unzulänglichkeiten hervorgerufen wurde; Wie eine solche persönliche Überforderung zustande kam lässt sich etwas salopp mit einem Satz Woody Allens “Seit es Flugzeuge gibt sind die entfernten Verwandten auch nicht mehr das, was sie einmal waren” ausdrücken. Hierin liegt die eigentlich Schwäche seines Buches: Um dem Leser die zeitgenössische Wahrnehmung zu vermitteln, war Radkau offensichtlich kein Archivalienkeller zu tief, in dem er auch noch den entlegendsten Bericht eines Neurasthenikers auftreiben konnte. Sicherlich ist es der richtige Weg, die Neurasthenie nicht mentalitäts-, sondern gesellschaftsgeschichtlich zu analysieren und deshalb nach persönlichen Zeugnissen zu suchen. Schließlich handelte es sich doch bei dem Befund “neurasthenisch” vornehmlich um eine Selbstdiagnose, die von den Menschen dazu genutzt wurde, einem diffusen Haufen von Beschwerden einen Sinn zu geben. Aber ob, um zu zeigen, dass die Neurasthenie eine – im wahren Sinne des Wortes – demokratische Angelegenheit war (zumal sie zu einem beträchtlichen Teil erst durch den Diskurs über sie entstand) eine solche Fülle von Berichten nötig gewesen wäre, ist durchaus fraglich – selbst wenn man vielen der Tagbucheinträge, Arztmitschriften etc. nicht absprechen kann, dass sie ein gewisses Lesevergnügen bereiten. Doch dass es sich hier immer um ein unscharfes Bild von einer Krankheit handelte (einer Krankheit, die laut Radkau “irgendwann” zum Kulturzustand mutierte), deren pathologische Syndrome schwer lokalisierbar waren und die aufgrund ihrer unspezifischen Symptomatik einen riesigen Spielraum für diverse Therapien eröffnete, hätte der Autor genauso gut anhand einiger exemplarischer Beispiele verdeutlichen können. Zu seinen Gunsten sei erwähnt, dass sich Radkau über die episch breit collagierte Befrachtung seines Werkes mit Alltagsgeschichtchen durchaus im klaren ist, wie er nicht zuletzt im Nachwort eingesteht, denn diese verspricht Einsicht verspricht ja eventuell Besserung 😉 Dass trotz der 550 dicht bedruckten Seiten neben einem prächtigen Literaturverzeichnis ein Index fehlt, ist allerdings sehr bedauerlich und macht es nicht gerade leichter, dieses Buch noch mal in die Hand zu nehmen. Selbst wenn man bestrebt ist, die Linie, die Radkau mit dem werbewirksamen Untertitel “Deutschland zwischen Bismarck und Hitler” andeutet, ein zweites Mal genauer zu beschauen, weil sie einem bei der ersten Lektüre nicht so ganz einleuchten wollte. Gleichermaßen problematisch erscheint mir die zu unausgewogene Betrachtung der Gründe für die Entstehung des Ersten Weltkriegs. Allen voran nennt der kritische Schüler Fritz Fischers, dass aus dem vieldiskutierten Empfinden, die außenpolitische Situation…

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